Manchmal reicht ein Satz, um einen Kulturkampf auszulösen. Im Falle des am Montag präsentierten ÖVP-Wahlprogramms für die Europawahlen Anfang Juni waren es genau genommen drei Sätze, die für Erregung sorgen. Im Kapitel zur Mobilität skizziert die ÖVP ihre politische Vorstellung für den Verkehr der Zukunft. Die EU müsse künftig auf "Technologieoffenheit" statt auf Verbote setzen, heißt es dort. Das bedeute, dass das geplante Verbrennerverbot im Jahr 2035 zurückgenommen werden müsse, stattdessen sollten "grüne Verbrenner" gefördert werden, also Fahrzeuge mit E-Fuel-Antrieb, die synthetischen Kraftstoff verwenden.

ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka legte am Dienstag gleich nach und ließ via Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter, ein Sujet mit der Aufschrift verbreiten, dass "die EU nicht diktieren kann, wie sich Technologien entwickeln". Der Grünen-Kandidat und EU-Parlamentarier Thomas Waitz merkte prompt sarkastisch an, "dass die 1950er-Jahre angerufen haben und ihr Wahlprogramm zurückwollten".

Verbrenner vs. E-Auto: Das Match ist damit auch im heimischen EU-Wahlkampf angekommen.

Kehrtwende bei Söder und Co

Auch wenn die Position österreichischer Politiker in dieser Frage nicht richtungsweisend sein wird, reiht sich die ÖVP in eine länger werdende Liste von Politikern aus Volksparteien ein, die eine Kursumkehr fordern. Das Verbrenner-Aus sei falsch und "muss deshalb zurückgenommen werden", sagte etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst vor wenigen Tagen, der selbst einst Verfechter eines Verbots ab 2035 war. Ähnlich argumentiert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die nun lautstark betont, das Verbrennerverbot müsse noch einmal überprüft werden.

Seit April 2023 sind die Regelungen in Kraft, die ein Verbot für die Neuzulassung von mit Diesel- und klassischem Benzin betriebenen Fahrzeugen ab 2035 vorsehen. Der Altbestand der Fahrzeuge darf weiterbetrieben werden, und auch für Verbrenner mit E-Fuels gibt es eine Ausnahme, ebenso für kleine Luxusmarken. Doch das reicht Lopatka und Co offenbar nicht mehr.

Die EU hatte sich auf die Ziele zum Verbrenner-Exit geeinigt, um die CO2-Emissionen im Verkehr zurückzudrängen, ein Fünftel der Gesamtemissionen entsteht immerhin hier. 2050 soll der gesamte Verkehrssektor jedoch CO2-neutral sein, so der Plan, wozu das Verbot der Neuzulassungen notwendig ist.

Jedes vierte Auto aus China

Der Kampf um den Motor der Zukunft ist nicht bloß rund um das Verbot entbrannt. Um Verbrenner zu verbannen, müssen in der Union deutlich mehr batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge verkauft werden, wozu es mehr erschwingliche Modelle brauchen wird. Aktuell drängen chinesische Autobauer mit günstigen Modellen auf den europäischen Markt, dieses Jahr dürfte laut einer Prognose des europäischen Umweltdachverbands Transport & Environment bereits jedes vierte neu verkaufte E-Auto aus chinesischer Fertigung stammen. Dazu zählen zwar auch europäische Automarken mit Fabriken im Reich der Mitte, doch allein der Anteil chinesischer Automarken dürfte rund elf Prozent aller Neuzulassungen in Europa ausmachen.

Der chinesische Autobauer BYD bringt seine Fahrzeuge gleich mit einem eigenen Schiff.
VIA REUTERS/CHINA DAILY

Als Reaktion darauf hat die EU-Kommission im Herbst 2023 angekündigt, die Verhängung von Importzöllen über die bestehenden zehn Prozent hinaus auf diese Importe zu prüfen. Denn sie ortet eine Marktverzerrung durch hohe chinesische Subventionen für E-Autos. Die Entscheidung darüber soll im Juni fallen, die Verhängung der Strafmaßnahme wird immer wahrscheinlicher. Das ist das zweite Kampffeld.

Das dritte betrifft die Frage, ob die E-Mobilität nicht gerade dabei ist zu floppen. Dabei haben zuletzt enttäuschende Verkaufszahlen Zweifel an der Elektrifizierung des Verkehrs genährt. Laut dem Center of Automotive Management (CAM) wuchs der globale Stromermarkt im ersten Quartal 2024 um nur elf Prozent und damit erheblich langsamer als noch in den Vorperioden. Neben chinesischen Importen sind es vor allem steigende Absatzzahlen für Hybridmodelle, die die Verkaufszahlen von E-Autos europäischer Hersteller drücken.

Besonders stark bemerkbar ist der – auch durch Rekordteuerung und steigende Finanzierungskosten bedingte – wachsende Druck in Deutschland, wo zusätzlich auch noch staatliche Förderungen ausgelaufen sind. Fünf Prozent weniger elektrische Pkws wurden im Autoland in den ersten drei Monaten des Jahres verkauft als noch 2023, wobei ein Wachstum bei Hybridmodellen den erheblichen Rückgang der reinen E-Auto-Verkäufe zahlenmäßig eindämmen konnte. Besser läuft es indes in Frankreich, wo 24 Prozent mehr E-Autos verkauft werden konnten als noch im Jahr zuvor.

Abseits dessen sind es abgesagte Großinvestments und spektakuläre Fehlgriffe, die für Unsicherheit sorgen. Das US-Start-up Fisker, das Elektroautos produziert, steht am Rande der Pleite. Der Grazer Automobilhersteller Magna Steyr hat erst vergangene Woche bekanntgegeben, 500 Stellen zu streichen, weil das gefloppte Elektroauto Fisker Ocean nicht mehr gebaut wird. Der Autobauer Ford hat gerade eben milliardenschwere Investitionen in den Ausbau der Produktion von Batteriewerken und der Produktion elektrischer Autos verschoben. Ford erwartet, dass seine E-Auto-Sparte heuer fünf Milliarden Euro Verlust macht.

Warum der Boom wohl nicht vorbei ist

Ist damit der Boom bei Elektroautos vorbei, ehe er richtig begonnen hat? Vieles spricht dafür, dass der Trend zur Elektrifizierung trotz einiger Rückschläge ungebrochen ist. E-Autos sind effizienter, im Betrieb günstiger und leiser als Verbrenner. Hinzu kommt, dass sich das Wachstum bei den Verkaufszahlen zuletzt zwar eingebremst hat, von einem längerfristigen Rückgang aber nicht auszugehen ist. Daran ändert auch nichts, dass es im März in der EU gar zu einem Rückgang der Absätze von rund fünf Prozent kam, wie der Herstellerverband ACEA zuletzt bekanntgab.

ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka und Generalsekretär Christian Stocker im Rahmen der Pressekonferenz der ÖVP-Programm- und -Plakatpräsentation.
APA/EVA MANHART

Denn die längerfristigen Prognosen zeigen allesamt in eine Richtung: nach oben. Laut dem deutschen Forschungsinstitut CAM dürften dieses Jahr weltweit rund zehn Millionen E-Autos neu zugelassen werden, was einem Wachstum von elf Prozent entspräche. Die Internationale Energieagentur (IEA) beziffert den prognostizierten Zuwachs gar auf 20 Prozent. Das größte Wachstum findet in beiden Szenarien zwar in China statt, doch auch in Europa und den USA dürfte der E-Auto-Anteil weiter zunehmen. Die IEA geht in ihren Prognosen gar so weit, dass der Anteil der E-Autos an den weltweiten Neuzulassungen bis 2035 auf 50 Prozent oder sogar zwei Drittel steigt. Damit würden die Rollen von Verbrenner und E-Auto innerhalb der nächsten Dekade de facto getauscht.

Dazu trägt auch bei, dass mehr E-Fahrzeuge im Segment der erschwinglichen Kompaktklasse auf den Markt kommen. Und: Weil E-Autos immer verbreiteter werden, gehen Experten davon aus, dass sich dieser Prozess beschleunigt. Laut Analyse der Nachrichtenagentur Bloomberg sind inzwischen weltweit in 31 Staaten mehr als fünf Prozent der verkauften Fahrzeuge E-Autos. Vor zwei Jahren war das nur in 19 Staaten der Fall. Ist einmal die Fünf-Prozent-Hürde überschritten, steige der Anteil neuer Technologien rasant, so Bloomberg, das sei in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen, etwa bei Einführung von Farbfernsehern oder Smart Watches.

Bis E-Autos die Verbrenner endgültig verdrängen, dürfte es aber noch ein holpriger Weg sein. Auch am Vertrauen der Bevölkerung in E-Autos scheint es noch zu hapern, das Ende des Verbrenners wird von vielen kritisch gesehen, zeigen Umfragen. In Wahlkämpfen dürfte auch das eine Rolle spielen – selbst wenn die Marschrichtung in etwa schon feststeht. (Nicolas Dworak, András Szigetvari, 30.4.2024)