Im ORF-Interview wurde Johannes Anzengruber am Tag nach seinem Sieg gefragt, ob er auch dann zum Innsbrucker Bürgermeister gewählt worden wäre, wenn die ÖVP ihn und nicht Florian Tursky aufgestellt hätte. Womöglich nicht: Sein Hinauswurf aus der Partei hat den früheren Almbauern erst so richtig attraktiv gemacht.

Dominik Wlazny profitiert mit seiner Bierpartei
Dominik Wlazny profitiert mit seiner Bierpartei vom Interesse vieler Wählerinnen und Wähler an Alternativen zu den etablierten Parteien.
APA/GEORG HOCHMUTH

Zu keiner etablierten Partei zu gehören oder sich als Antiparteipolitiker zu inszenieren ist im heutigen Klima ein Erfolgsrezept. So hat Dominik Wlazny mit seiner Satireschöpfung Bierpartei laut Umfragen realistische Chancen, in den nächsten Nationalrat einzuziehen. Auch der Salzburger KPÖ-Kandidat Kay-Michael Dankl hat davon profitiert, dass er weder zu den Grünen noch zur SPÖ gehört, wo er einst Mitglied war oder wo er gut hineinpassen würde.

Eine tiefsitzende Unzufriedenheit mit der Politik und Ärger über die Allmacht der Parteien, die sich in Korruptionsfällen niederschlägt, führt dazu, dass eine signifikante Minderheit alternative Persönlichkeiten sucht und ihnen das Vertrauen schenkt. Nun sind Anzengruber, Wlazny und Dankl vernünftige Menschen, vor denen man sich nicht fürchten muss. Der neu gewählte Innsbrucker Stadtchef beherrscht sogar das politische Geschäft: Erst sein Hinauswurf hat die Innsbrucker vergessen lassen, dass er jahrelang Parteivorsitzender und Vizebürgermeister war.

Johannes Anzengruber schaffte in Innsbruck
Johannes Anzengruber schaffte in Innsbruck den Spagat zwischen politischem Profi und Rebell.
Florian Scheible

Aber die Popularität von Antipolitikern hat ihre Schattenseiten. Werden sie in Ämter gewählt, fehlt ihnen oft die Erfahrung, um ihre Vorhaben durchzusetzen und im harten politischen und medialen Alltag zu überleben. Politik ist ein Handwerk, das gelernt werden muss, am besten über viele Jahre an der Basis oder im so ungeliebten Apparat von Parteien, Verwaltungen und Regierungen. Die Attraktivität von Quereinsteigern verblasst schnell, wenn sie in einem Amt ins Rutschen kommen. Das wiederum verstärkt oft den Zynismus und die Frustration mit der Demokratie.

Manchen Politikveteranen gelingt es, sich auch an der Spitze einer Partei als Antipolitiker zu gebärden und so von dieser Stimmung zu profitieren. Sie tun das, indem sie nicht nur die Konkurrenz, sondern das gesamte System attackieren. Das ist das Erfolgsrezept der FPÖ, das Jörg Haider erfunden, Heinz-Christian Strache übernommen und Herbert Kickl perfektioniert hat. Niemand ist so lange im Geschäft wie Kickl und hat so viel Skandalballast angehäuft, und dennoch lässt er durch radikale Rhetorik seine Mitbewerber bei einem guten Teil der Wählerschaft alt aussehen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl ist ein Politikveteran, der sich als Kämpfer gegen das System inszeniert.
FPÖ-Chef Herbert Kickl ist ein Politikveteran, der sich als Kämpfer gegen das System inszeniert.
APA/HELMUT FOHRINGER

Andreas Babler wäre zwar ein neues Gesicht mit vielen innovativen Ideen, aber er kann den Mantel des Apparatschiks nicht abstreifen. Beate Meinl-Reisinger strahlt in Interviews Frische und Lebendigkeit aus. Aber da die Neos sich als ernsthafte Regierungskraft präsentieren, wirkt sie im Vergleich zu Wlazny und Co wie eine altbackene Systemerhalterin.

Das gravierendste Beispiel für die Gefahr dieses Phänomens ist Donald Trump, Milliardär und Ex-Präsident, der dennoch den Amerikanern etwas undefiniert Neues verspricht – und damit das Ende der US-Demokratie einleiten könnte.

So gesehen ist ein Mann wie Anzengruber, der Profi und Rebell zugleich war, ein Glück. Besser wäre es, wenn Menschen ihre Wahlentscheidung von Programmen abhängig machen und nicht als Mittel zum diffusen Protest verwenden würden. (Eric Frey, 30.4.2024)